Freitag, 21. Mai 2004
Power Of Love?
Unterhaltung ist schon etwas Merkwürdiges. Und etwas sehr Wandelbares. Früher gingen die Menschen ins Kabarett und lachten über Witze, die heutzutage niemanden mehr hinter dem sprichwörtlichen Ofen hervorlocken. Heute sitzen die Menschen am Abend chipsfutternd vor dem Fernsehen und lachen über Witze, die früher jeden hinter den Ofen gejagt hätten. Wie auch immer; es folgt eine kleine Betrachtung über moderne Unterhaltung und den Verzehr von dünngeschnittenen gerösteten Kartoffelscheiben.
Till und Johanna saßen im Wohnzimmer und sahen fern. Es war gegen neun Uhr abends, Freitag. „Fun-Freitag“. Sat.1 erfreute gerade die Zuschauer, also auch Till und Johanna, mit endloser Vorschau auf den morgigen „Show-Power-Samstag“. Kurz zur Charakterisierung: von den beiden war natürlich Johanna die Schlauere, schließlich war sie ja auch die Frau. Hin und wieder war Johanna auch noch sehr zuvorkommend. Irgendwann fragte sie Till:
- „Schatz, soll ich dir noch ein Bier holen? Oder Erdnüsse?“
Till drehte sich nicht vom Fernseher weg und machte eine unwirsche Handbewegung.
- „Wenn du magst.“
- „Wieso wenn ich mag? Ich frag doch dich.“
- „Ja, dann mach halt.“
- „Was jetzt? Bier oder Erdnüsse?“
- „Haben wir noch Milch da?“
- „Milch? Seit wann trinkst du einfach so Milch?“
- „So halt. Hab gelesen, dass wäre gut gegen Chipssucht.“
Chipssucht, das Phänomen, dass wir wohl alle kennen. Immer weiter Chips essen, obwohl der Appetit darauf schon lange vergangen ist. Johanna brachte Till ein Glas Milch, dass dieser schnell austrank. Danach nahm er sich wieder eine Handvoll Chips aus der Tüte. Johanna fragte ihn:
- „Hast du dir mal vorgestellt, dass wir so unsere Freitage verbringen würden?“
- „Wie verbringen?“
- „Na so faul vor dem Fernseher.“
- „Was ist denn schlimm daran?“
- „Weiß nicht. Das ist so sinnlos.“
Till wollte gerade fragen, was sie denn damit meine, als er über einen unheimlich frauenfeindlichen Witz lachen musste. Als er ausgelacht hatte, sagte er zu Johanna:
- „Du warst schon immer so eine kleine Philosophin.“
Beim Reden fielen ihm fast die zerkauten Chips aus dem Mund.
- „Ich mein das ernst. Was da läuft, dass ist doch alles Schwachsinn. Und musst du dabei immer Chips essen?“
- „Was hast du denn dagegen, wenn ich Chips esse?“
- „Das ist ungesund. Du wirst fett. Außerdem kannst du nach dem Abendessen doch gar keinen Hunger mehr haben.“
Sie hatten wirklich gut zu abend gegessen.
- „Chipssucht. Die tun in die Dinger so Suchtstoffe rein, damit sie mehr Kohle abgreifen.“
Till zuckte mit den Schultern.
- „Suchtstoffe? Das ist doch Schwachsinn!“
- „Kann sein. Vielleicht will ich mich auch einfach nur oral beschäftigen. Kann dir auch mal nicht schaden.“
Er grinste über seinen unheimlich frauenfeindlichen Witz. Den Rest des Fernsehabends schwiegen sie sich an. Bevor sie zu Bett gingen, hatten sie eine Viertelstunde wilden Sex.
Till und Johanna saßen im Wohnzimmer und sahen fern. Es war gegen neun Uhr abends, Freitag. „Fun-Freitag“. Sat.1 erfreute gerade die Zuschauer, also auch Till und Johanna, mit endloser Vorschau auf den morgigen „Show-Power-Samstag“. Kurz zur Charakterisierung: von den beiden war natürlich Johanna die Schlauere, schließlich war sie ja auch die Frau. Hin und wieder war Johanna auch noch sehr zuvorkommend. Irgendwann fragte sie Till:
- „Schatz, soll ich dir noch ein Bier holen? Oder Erdnüsse?“
Till drehte sich nicht vom Fernseher weg und machte eine unwirsche Handbewegung.
- „Wenn du magst.“
- „Wieso wenn ich mag? Ich frag doch dich.“
- „Ja, dann mach halt.“
- „Was jetzt? Bier oder Erdnüsse?“
- „Haben wir noch Milch da?“
- „Milch? Seit wann trinkst du einfach so Milch?“
- „So halt. Hab gelesen, dass wäre gut gegen Chipssucht.“
Chipssucht, das Phänomen, dass wir wohl alle kennen. Immer weiter Chips essen, obwohl der Appetit darauf schon lange vergangen ist. Johanna brachte Till ein Glas Milch, dass dieser schnell austrank. Danach nahm er sich wieder eine Handvoll Chips aus der Tüte. Johanna fragte ihn:
- „Hast du dir mal vorgestellt, dass wir so unsere Freitage verbringen würden?“
- „Wie verbringen?“
- „Na so faul vor dem Fernseher.“
- „Was ist denn schlimm daran?“
- „Weiß nicht. Das ist so sinnlos.“
Till wollte gerade fragen, was sie denn damit meine, als er über einen unheimlich frauenfeindlichen Witz lachen musste. Als er ausgelacht hatte, sagte er zu Johanna:
- „Du warst schon immer so eine kleine Philosophin.“
Beim Reden fielen ihm fast die zerkauten Chips aus dem Mund.
- „Ich mein das ernst. Was da läuft, dass ist doch alles Schwachsinn. Und musst du dabei immer Chips essen?“
- „Was hast du denn dagegen, wenn ich Chips esse?“
- „Das ist ungesund. Du wirst fett. Außerdem kannst du nach dem Abendessen doch gar keinen Hunger mehr haben.“
Sie hatten wirklich gut zu abend gegessen.
- „Chipssucht. Die tun in die Dinger so Suchtstoffe rein, damit sie mehr Kohle abgreifen.“
Till zuckte mit den Schultern.
- „Suchtstoffe? Das ist doch Schwachsinn!“
- „Kann sein. Vielleicht will ich mich auch einfach nur oral beschäftigen. Kann dir auch mal nicht schaden.“
Er grinste über seinen unheimlich frauenfeindlichen Witz. Den Rest des Fernsehabends schwiegen sie sich an. Bevor sie zu Bett gingen, hatten sie eine Viertelstunde wilden Sex.
Freitag, 30. April 2004
Mit der Wand
Helmuth war eigentlich ein recht cleverer Bursche. Er hatte eine gute Allgemeinbildung und e hatte Ahnung vom Leben. Doch nicht nur das: Helmuth verstand auch noch die Frauen (eine Fähigkeit um die ich ihn heute noch beneide).
Letztlich jedoch konnte Helmuth mit all seiner Cleverness nichts anfangen. Er litt unter einer Angewohnheit, die ihn in fremden Augen nicht nur bescheuert sondern geradezu verrückt erscheinen ließ: Helmuth lief gegen Wände. Er lief gegen weiße Wände, gegen blaue Wände, gegen graue Wände, gegen Außenmauern von Gebäuden, zu allem Überfluss sogar gegen Türen und besonders bevorzugt gegen Glasscheiben (selbst wenn diese mit schwarzen Vogelschatten beklebt waren). Dabei war es keineswegs so, dass Helmuth gerne gegen Wände lief oder einfach dumm war (auf seine Cleverness habe ich schon hingewiesen). Es geschah einfach unbewusst, ohne jede Absicht und das war es auch, was Helmuth an seiner Angewohnheit am meisten quälte.
Natürlich hatte er schon alles versucht, um nicht mehr gegen die Wand zu laufen. Schließlich tat ihm das weh. Zuerst war Helmuth zu einem Psychologen gegangen. Dieser hatte sein Leiden natürlich auf Kindheitstraumata zurückgeführt und ging vom Gegen-Die-Wand-Laufen als Selbstbestrafung aus. Helmuth merkte jedoch bald, dass der Psychologe im Unrecht sein musste, schließlich war er ja abgesehen von seiner Affinität zu Wänden psychisch normal und gesund. Helmuths zweiter Versuch war schon spiritueller: er versuchte fernöstliche Kampfsportarten zu erlernen, um die „absolute Aufmerksamkeit“ zu erlangen. Doch als ihm sein thailändischer Meister erklärte, Helmuth müsse für die „absolute Aufmerksamkeit“ eins mit seiner Umgebung werden und dabei den folgenschweren Satz „Du bist die Wand und die Wand ist du.“ fallen ließ, ereilte Helmuth ein solcher Selbsthass, dass er sofort zum Psychologen zurückgekehrt wäre, wenn nicht eine Wand im Weg gewesen wäre.
(Die Pointe am Ende war zugegebenermaßen ein bisschen billig. Vielleicht entschuldige ich mich dafür.)
Letztlich jedoch konnte Helmuth mit all seiner Cleverness nichts anfangen. Er litt unter einer Angewohnheit, die ihn in fremden Augen nicht nur bescheuert sondern geradezu verrückt erscheinen ließ: Helmuth lief gegen Wände. Er lief gegen weiße Wände, gegen blaue Wände, gegen graue Wände, gegen Außenmauern von Gebäuden, zu allem Überfluss sogar gegen Türen und besonders bevorzugt gegen Glasscheiben (selbst wenn diese mit schwarzen Vogelschatten beklebt waren). Dabei war es keineswegs so, dass Helmuth gerne gegen Wände lief oder einfach dumm war (auf seine Cleverness habe ich schon hingewiesen). Es geschah einfach unbewusst, ohne jede Absicht und das war es auch, was Helmuth an seiner Angewohnheit am meisten quälte.
Natürlich hatte er schon alles versucht, um nicht mehr gegen die Wand zu laufen. Schließlich tat ihm das weh. Zuerst war Helmuth zu einem Psychologen gegangen. Dieser hatte sein Leiden natürlich auf Kindheitstraumata zurückgeführt und ging vom Gegen-Die-Wand-Laufen als Selbstbestrafung aus. Helmuth merkte jedoch bald, dass der Psychologe im Unrecht sein musste, schließlich war er ja abgesehen von seiner Affinität zu Wänden psychisch normal und gesund. Helmuths zweiter Versuch war schon spiritueller: er versuchte fernöstliche Kampfsportarten zu erlernen, um die „absolute Aufmerksamkeit“ zu erlangen. Doch als ihm sein thailändischer Meister erklärte, Helmuth müsse für die „absolute Aufmerksamkeit“ eins mit seiner Umgebung werden und dabei den folgenschweren Satz „Du bist die Wand und die Wand ist du.“ fallen ließ, ereilte Helmuth ein solcher Selbsthass, dass er sofort zum Psychologen zurückgekehrt wäre, wenn nicht eine Wand im Weg gewesen wäre.
(Die Pointe am Ende war zugegebenermaßen ein bisschen billig. Vielleicht entschuldige ich mich dafür.)
Sonntag, 18. April 2004
Die Unterhose
Roland war Fußballfan. Geradezu besessen war er von seinem Verein. Seine Liebe ging sogar so weit, dass sie einer einseitigen Abhängigkeit glich. Gewann Rolands Verein, so war er bis zum nächsten Spiel in nahezu euphorischer Hochstimmung, verlor er dagegen, war Roland bis zum nächsten Spiel von einem Häufchen Elend kaum zu unterscheiden.
Natürlich war Roland bei jedem Heimspiel dabei. Auch die Auswärtsspiele ließ er sich nicht entgehen und selbst bei den albernsten Vorbereitungsspielen fühlte er sich zur Anwesenheit verpflichtet. Seine Besessenheit hatte ihm zum wiederholten Mal den Titel „Treuester Fan des Jahres“ eingebracht. Etwas mehr als sechs Jahre hatte er kein Spiel seines Vereins verpasst.
Fast alle Fans entwickeln irgendwann ein Ritual, mit dem sie die Geschicke ihres Vereins beeinflussen zu können glauben. Manche tragen am Spieltag ein bestimmtes Trikot oder einen bestimmten Schal, andere trinken zu einer bestimmten Uhrzeit ein bestimmtes Bier und meinen, dadurch den so sehr herbeigesehnten Sieg garantieren zu können. Solche abergläubischen Rituale entstehen meist, wenn die eigentlich an Niederlagen gewöhnten Fans eine Erklärung für die letzten beiden Siege suchen und feststellen, dass sie an den betreffenden Spieltagen eben dieses oder jenes getan haben. In aller Regel lassen die Fans sich erst durch eine lange Niederlagenserie von ihrem Ritual abbringen, an deren Ende sie dann einen neuen Aberglauben finden.
Roland wäre wohl kein echter Fan gewesen, wenn er an dieser Ritualbildung nicht auch irgendwann teilgenommen hätte. Als an einem Spieltag sein Verein einen 7 – 1 Kantersieg einfuhr, wusste er dafür keine andere Erklärung als die Unterhose in Vereinsfarben mit Vereinsemblem, die er an diesem Tag erstmals angehabt hatte. Als er sie auch bei den folgenden Spielen anzog, startete sein Verein eine bis dahin beispiellose Siegesserie und da Roland bei den anderen Fans sehr bekannt und beliebt war, gelangte auch seine Unterhose bald zu großer Berühmtheit. Mehr als einmal ließ sich das gegnerische Team vom Kampfruf „Ihr könnt nach Hause fahren, denn wir haben Rolands Unterhose!“ gehörig aus der Fassung bringen.
Doch wie jede Serie musste auch die Siegesserie von Rolands Verein irgendwann ein Ende finden und als ihr eine lange Niederlagenserie folgte, geriet Rolands Unterhose in Vergessenheit. Sehr zu seinem Unmut hatte sie ihre Wirkung verloren und damit war auch Rolands Bekanntheit und Beliebtheit drastisch zurückgegangen.
Am Saisonende fand sich Rolands Verein im Tabellenmittelfeld wieder. Unter den Fans rief dies großen Unmut hervor, war man doch noch als Herbstmeister in die Winterpause gegangen. Zu allem Überfluss hatte Rolands Verein am letzten Spieltag zu Hause gegen den Lokalrivalen und schon längst abgestiegenen Tabellenletzten mit 0 – 5 verloren. Es nimmt kaum Wunder, dass Roland, als er am Abend im betrunkenen Zustand in einer Kneipe von seiner Unterhose schwafelte, von aufgebrachten Fan-Kollegen verprügelt wurde.
Doch eines Nachts in der spielfreien Zeit erschien ihm im Traum eine Fee und sprach zu ihm: „Roland, ich habe gesehen, welch treuer Unterstützer deines Vereins du bist. Es ist großes ein Unrecht, dass die anderen Fans deine Unterhose nicht akzeptieren. Ich werde ihr magische Fähigkeiten verleihen, so dass du durch ihr Tragen den Sieg deines Vereins sicherstellen kannst. Außerdem werde ich ihr noch ein paar Zusatzfunktionen geben.“
Als Roland am nächsten Morgen aufstand, fand er neben seiner Unterhose, die sich rein äußerlich nicht verändert hatte, eine mehrseitige Bedienungsanleitung. Ihr entnahm er folgendes:
1) Für einen Heimsieg ist die Unterhose normal zu tragen.
2) Für einen Auswärtssieg ist die Unterhose verkehrt herum zu tragen.
3) Für ein Unentschieden ist die Unterhose nur an einem Bein anzuziehen.
4) Für ein Fallrückziehertor in den nächsten fünf Minuten des Spiels hat der Unterhosentragende sich kurz in den Schritt zu fassen.
5) Für einen Trainerwechsel ist die Unterhose in einer Waschmaschine zu waschen.
Natürlich war Roland zunächst sehr skeptisch. Der Traum und auch die Bedienungsanleitung neben seiner Unterhose erschienen ihm wie ein schlechter Witz. Nichtsdestotrotz probierte Roland die Unterhose zum Saisonbeginn aus und tatsächlich gewann sein Verein.
Auch als er beim nächsten Auswärtsspiel die Unterhose verkehrt herum anzog, war sein Verein erfolgreich. Roland war glücklich, seine Unterhose funktionierte wieder. Dass sie sogar besser funktionierte, als in der vorangegangenen Saison, stellte Roland fest, als er sich im nächsten Spiel kurzzeitig in den Schritt griff. Bald darauf schoss der linke Außenstürmer das Tor des Jahres.
Es hätte alles so schön sein können, wäre Rolands Frau, von der bisher noch gar nicht die Rede gewesen ist, eines Tages auf die Idee gekommen, Rolands Unterhose zu waschen. Noch heute ist die kurz darauf abgehaltene Trainerentlassungspressekonferenz eine der kuriosesten der Fußballgeschichte. Befragt nach den Gründen für die überraschende Entlassung des erfolgreichen Trainers, erklärte der Vereinspräsident, dass besagter erfolgreicher Trainer seiner, des Vereinspräsidenten Ehefrau an die Wäsche hatte gehen wollen.
In der Folge funktionierte Rolands Unterhose nicht mehr richtig. Manchmal gewann sein Verein noch, wenn er sie trug, manchmal aber auch nicht.
Natürlich war Roland bei jedem Heimspiel dabei. Auch die Auswärtsspiele ließ er sich nicht entgehen und selbst bei den albernsten Vorbereitungsspielen fühlte er sich zur Anwesenheit verpflichtet. Seine Besessenheit hatte ihm zum wiederholten Mal den Titel „Treuester Fan des Jahres“ eingebracht. Etwas mehr als sechs Jahre hatte er kein Spiel seines Vereins verpasst.
Fast alle Fans entwickeln irgendwann ein Ritual, mit dem sie die Geschicke ihres Vereins beeinflussen zu können glauben. Manche tragen am Spieltag ein bestimmtes Trikot oder einen bestimmten Schal, andere trinken zu einer bestimmten Uhrzeit ein bestimmtes Bier und meinen, dadurch den so sehr herbeigesehnten Sieg garantieren zu können. Solche abergläubischen Rituale entstehen meist, wenn die eigentlich an Niederlagen gewöhnten Fans eine Erklärung für die letzten beiden Siege suchen und feststellen, dass sie an den betreffenden Spieltagen eben dieses oder jenes getan haben. In aller Regel lassen die Fans sich erst durch eine lange Niederlagenserie von ihrem Ritual abbringen, an deren Ende sie dann einen neuen Aberglauben finden.
Roland wäre wohl kein echter Fan gewesen, wenn er an dieser Ritualbildung nicht auch irgendwann teilgenommen hätte. Als an einem Spieltag sein Verein einen 7 – 1 Kantersieg einfuhr, wusste er dafür keine andere Erklärung als die Unterhose in Vereinsfarben mit Vereinsemblem, die er an diesem Tag erstmals angehabt hatte. Als er sie auch bei den folgenden Spielen anzog, startete sein Verein eine bis dahin beispiellose Siegesserie und da Roland bei den anderen Fans sehr bekannt und beliebt war, gelangte auch seine Unterhose bald zu großer Berühmtheit. Mehr als einmal ließ sich das gegnerische Team vom Kampfruf „Ihr könnt nach Hause fahren, denn wir haben Rolands Unterhose!“ gehörig aus der Fassung bringen.
Doch wie jede Serie musste auch die Siegesserie von Rolands Verein irgendwann ein Ende finden und als ihr eine lange Niederlagenserie folgte, geriet Rolands Unterhose in Vergessenheit. Sehr zu seinem Unmut hatte sie ihre Wirkung verloren und damit war auch Rolands Bekanntheit und Beliebtheit drastisch zurückgegangen.
Am Saisonende fand sich Rolands Verein im Tabellenmittelfeld wieder. Unter den Fans rief dies großen Unmut hervor, war man doch noch als Herbstmeister in die Winterpause gegangen. Zu allem Überfluss hatte Rolands Verein am letzten Spieltag zu Hause gegen den Lokalrivalen und schon längst abgestiegenen Tabellenletzten mit 0 – 5 verloren. Es nimmt kaum Wunder, dass Roland, als er am Abend im betrunkenen Zustand in einer Kneipe von seiner Unterhose schwafelte, von aufgebrachten Fan-Kollegen verprügelt wurde.
Doch eines Nachts in der spielfreien Zeit erschien ihm im Traum eine Fee und sprach zu ihm: „Roland, ich habe gesehen, welch treuer Unterstützer deines Vereins du bist. Es ist großes ein Unrecht, dass die anderen Fans deine Unterhose nicht akzeptieren. Ich werde ihr magische Fähigkeiten verleihen, so dass du durch ihr Tragen den Sieg deines Vereins sicherstellen kannst. Außerdem werde ich ihr noch ein paar Zusatzfunktionen geben.“
Als Roland am nächsten Morgen aufstand, fand er neben seiner Unterhose, die sich rein äußerlich nicht verändert hatte, eine mehrseitige Bedienungsanleitung. Ihr entnahm er folgendes:
1) Für einen Heimsieg ist die Unterhose normal zu tragen.
2) Für einen Auswärtssieg ist die Unterhose verkehrt herum zu tragen.
3) Für ein Unentschieden ist die Unterhose nur an einem Bein anzuziehen.
4) Für ein Fallrückziehertor in den nächsten fünf Minuten des Spiels hat der Unterhosentragende sich kurz in den Schritt zu fassen.
5) Für einen Trainerwechsel ist die Unterhose in einer Waschmaschine zu waschen.
Natürlich war Roland zunächst sehr skeptisch. Der Traum und auch die Bedienungsanleitung neben seiner Unterhose erschienen ihm wie ein schlechter Witz. Nichtsdestotrotz probierte Roland die Unterhose zum Saisonbeginn aus und tatsächlich gewann sein Verein.
Auch als er beim nächsten Auswärtsspiel die Unterhose verkehrt herum anzog, war sein Verein erfolgreich. Roland war glücklich, seine Unterhose funktionierte wieder. Dass sie sogar besser funktionierte, als in der vorangegangenen Saison, stellte Roland fest, als er sich im nächsten Spiel kurzzeitig in den Schritt griff. Bald darauf schoss der linke Außenstürmer das Tor des Jahres.
Es hätte alles so schön sein können, wäre Rolands Frau, von der bisher noch gar nicht die Rede gewesen ist, eines Tages auf die Idee gekommen, Rolands Unterhose zu waschen. Noch heute ist die kurz darauf abgehaltene Trainerentlassungspressekonferenz eine der kuriosesten der Fußballgeschichte. Befragt nach den Gründen für die überraschende Entlassung des erfolgreichen Trainers, erklärte der Vereinspräsident, dass besagter erfolgreicher Trainer seiner, des Vereinspräsidenten Ehefrau an die Wäsche hatte gehen wollen.
In der Folge funktionierte Rolands Unterhose nicht mehr richtig. Manchmal gewann sein Verein noch, wenn er sie trug, manchmal aber auch nicht.
Sonntag, 4. April 2004
Wo?
Rüdiger war stolz. Nun, da es Zeit war aus dem Leben zu scheiden, erkannte er mit Freude, dass er sein Ziel erreicht hatte. Es gab also tatsächlich keine einzige Photographie von ihm.
Es war nicht so, dass Rüdiger eine spezielle Abneigung gegen Photos gehabt hätte oder dass er sich immer weggedreht hätte, wenn jemand ihn zu photographieren versucht hatte. Der Wunsch, photographisch nicht festgehalten zu werden, hatte sich einfach irgendwann entwickelt. In jungen Jahren, als er erstmals ein Passbild für seinen Ausweis brauchte, hatte er festgestellt, dass er kein Bild von sich besaß. Er wusste nicht recht zu sagen, warum ihm dieser Zustand gefiel. Jedenfalls wollte er nichts daran ändern. Also nahm er für das Passbild das Photo eines Schauspielers, dem er, glaubte er seinen Verwandten, sehr ähnlich sah.
In den folgenden Jahren entwickelte Rüdiger seine bis heute einmalige Technik des Nicht-Photographiert-Werdens. Sie basierte vor allem auf dem Konzept der Prävention. Rüdiger konzentrierte sich vor allem darauf, potentielle Photographen gar nicht erst auf die Idee kommen zu lassen, ihn zu photographieren. Er machte sich also uninteressant. Schrecklich langweilig. Unphotographierenswert. Mit der Zeit wurde er so gut darin, dass man ihn praktisch nicht mehr wahrnahm. Nur wer absichtlich nach Rüdiger Ausschau hielt, sah ihn manchmal noch. Wer nicht nach ihm suchte, konnte ihn praktisch nicht sehen. Es war, als würde niemand in seine Richtung schauen.
Vielleicht wird der Leser, dem ich die völlige Langweiligkeit Rüdigers noch nicht richtig zu vermitteln im Stande gewesen bin, an dieser Stelle fragen, wie Rüdiger denn gestorben sei? Wahrscheinlich wird mir dieser Leser nicht glauben, dass Rüdiger im Restaurant verhungert ist, weil ihn die Bedienung nicht sah.
Es war nicht so, dass Rüdiger eine spezielle Abneigung gegen Photos gehabt hätte oder dass er sich immer weggedreht hätte, wenn jemand ihn zu photographieren versucht hatte. Der Wunsch, photographisch nicht festgehalten zu werden, hatte sich einfach irgendwann entwickelt. In jungen Jahren, als er erstmals ein Passbild für seinen Ausweis brauchte, hatte er festgestellt, dass er kein Bild von sich besaß. Er wusste nicht recht zu sagen, warum ihm dieser Zustand gefiel. Jedenfalls wollte er nichts daran ändern. Also nahm er für das Passbild das Photo eines Schauspielers, dem er, glaubte er seinen Verwandten, sehr ähnlich sah.
In den folgenden Jahren entwickelte Rüdiger seine bis heute einmalige Technik des Nicht-Photographiert-Werdens. Sie basierte vor allem auf dem Konzept der Prävention. Rüdiger konzentrierte sich vor allem darauf, potentielle Photographen gar nicht erst auf die Idee kommen zu lassen, ihn zu photographieren. Er machte sich also uninteressant. Schrecklich langweilig. Unphotographierenswert. Mit der Zeit wurde er so gut darin, dass man ihn praktisch nicht mehr wahrnahm. Nur wer absichtlich nach Rüdiger Ausschau hielt, sah ihn manchmal noch. Wer nicht nach ihm suchte, konnte ihn praktisch nicht sehen. Es war, als würde niemand in seine Richtung schauen.
Vielleicht wird der Leser, dem ich die völlige Langweiligkeit Rüdigers noch nicht richtig zu vermitteln im Stande gewesen bin, an dieser Stelle fragen, wie Rüdiger denn gestorben sei? Wahrscheinlich wird mir dieser Leser nicht glauben, dass Rüdiger im Restaurant verhungert ist, weil ihn die Bedienung nicht sah.
Samstag, 3. April 2004
Stop Breakin' Down Blues
Er verwarf den Gedanken, dass der diesjährige Winter besonders lang gewesen sei, als ihm bewusst wurde, dass er das Selbe auch schon vom letztjährigen Sommer gedacht hatte.
Dienstag, 30. März 2004
Evolution der Geschlechterrollen (aus einer fernen Zukunft?)
Die Ärztin warf einen kritischen Blick auf den Monitor.
- „Frau Doktorin, wenn etwas nicht stimmt, sagen Sie es mir bitte gleich.“ Zunehmend nervös versuchte die werdende Mutter den Gesichtsausdruck der Ärztin zu Mustern. Scheinbar gedankenversunken setzte diese die Ultraschalluntersuchung noch ein paar Minuten fort, dann teilte sie der Patientin die schlechten Nachrichten mit:
- „Nehmen Sie es nicht zu schwer, aber es wird wohl ein Junge.“ Hellauf entsetzt starrte die werdende Mutter zur neben ihr sitzenden Ärztin auf.
- „Ein Junge? Aber das ist doch furchtbar!“. Die Ärztin nickte zustimmend:
- „Es tut mir leid.“ Mit zunehmendem Verständnis dessen, was das unerwünschte Geschlecht ihres Kindes bedeutete, wuchs die Verzweiflung der werdenden Mutter:
- „Kann man denn da nichts machen?“. Die Ärztin setzte ihren Ich-Fürchte-Nicht-Blick auf und spielte nervös an einigen Drehknöpfen der Ultraschallapparatur herum:
- „Ich fürchte nicht.“
- „Frau Doktorin, wenn etwas nicht stimmt, sagen Sie es mir bitte gleich.“ Zunehmend nervös versuchte die werdende Mutter den Gesichtsausdruck der Ärztin zu Mustern. Scheinbar gedankenversunken setzte diese die Ultraschalluntersuchung noch ein paar Minuten fort, dann teilte sie der Patientin die schlechten Nachrichten mit:
- „Nehmen Sie es nicht zu schwer, aber es wird wohl ein Junge.“ Hellauf entsetzt starrte die werdende Mutter zur neben ihr sitzenden Ärztin auf.
- „Ein Junge? Aber das ist doch furchtbar!“. Die Ärztin nickte zustimmend:
- „Es tut mir leid.“ Mit zunehmendem Verständnis dessen, was das unerwünschte Geschlecht ihres Kindes bedeutete, wuchs die Verzweiflung der werdenden Mutter:
- „Kann man denn da nichts machen?“. Die Ärztin setzte ihren Ich-Fürchte-Nicht-Blick auf und spielte nervös an einigen Drehknöpfen der Ultraschallapparatur herum:
- „Ich fürchte nicht.“
Samstag, 20. März 2004
Trotzdem lachen
DeJean war Komiker, sogar ein richtig lustiger. Keiner dieser dämlichen Fernsehkomiker, die nur auf den nächsten Lacher bedacht sind. DeJean hatte Tiefgang, jedoch ohne irgendjemanden von seinem Humor auszuschließen. Seinem außergewöhnlichen Talent war die Revolution, wenn nicht gar die völlige Neuerschaffung eines kompletten Humorgenres zuzuschreiben: der Fehlleistungskomik. Unter dieser zunächst umständlichen Bezeichnung ließen sich nämlich seine besten Witze zusammenfassen. Es waren stets solche, bei denen der von DeJean dargestellte Charakter versehentlich etwas tat, was dann katastrophale, aber stets auch lustige Folgen nach sich zog. Zu besonderer Berühmtheit gelangte ein Sketch, bei dem Petrus nach einer durchzechten Nacht auf Wolke 7 die Schalter für die Wettersteuerung durcheinander bringt und daraufhin Pinguine und Eisbären auf dem Nordpol ein rauschendes Frühlingsanfangsfest feiern. Als DeJean bei einem Interview einmal gefragt wurde, woher er die genialen Ideen für seine Fehlleistungskomik nehme, antwortete er, dass ihm selbst ständig dergleichen passieren würde und dass das Publikum fast nur über Beispiele aus DeJeans eigenem Leben lachte.
Nun geschah es eines Tages, dass DeJean auf offener Straße von einem Auto überfahren wurde. Er war sofort tot und hinterließ eine Frau und drei Kinder. Da verschiedene Zeugen berichteten, DeJean habe sich völlig freiwillig zu einem Zeitpunkt auf die Straße begeben, zu dem es dem Autofahrer völlig unmöglich war, rechtzeitig zu bremsen, wurde der Fall von der zuständigen Staatsanwaltschaft schon bald als Selbstmord zu den Akten gelegt.
Die Wahrheit sprach nur ein einziger Mensch aus, jedoch ohne es zu wissen. Es war zwei Tage nach DeJeans Tod, gegen 22 Uhr in einer verrauchten Kneipe, als ein angetrunkener Bauarbeiter über der Lektüre eines überregionalen Boulevardblatt ausrief, dass DeJean bestimmt nur den Mittelstreifen der Straße mit dem Zebrastreifen verwechselt habe.
Nun geschah es eines Tages, dass DeJean auf offener Straße von einem Auto überfahren wurde. Er war sofort tot und hinterließ eine Frau und drei Kinder. Da verschiedene Zeugen berichteten, DeJean habe sich völlig freiwillig zu einem Zeitpunkt auf die Straße begeben, zu dem es dem Autofahrer völlig unmöglich war, rechtzeitig zu bremsen, wurde der Fall von der zuständigen Staatsanwaltschaft schon bald als Selbstmord zu den Akten gelegt.
Die Wahrheit sprach nur ein einziger Mensch aus, jedoch ohne es zu wissen. Es war zwei Tage nach DeJeans Tod, gegen 22 Uhr in einer verrauchten Kneipe, als ein angetrunkener Bauarbeiter über der Lektüre eines überregionalen Boulevardblatt ausrief, dass DeJean bestimmt nur den Mittelstreifen der Straße mit dem Zebrastreifen verwechselt habe.
Donnerstag, 18. März 2004
Some Kind Of Wonderful
Das erste Mal traf ich den Frühling vor etwas mehr als zwei Jahren. Es war der Dezember 2001 und er machte gerade Urlaub an der Côte d’Azur. Ich auch. Wir trafen uns im Supermarkt und ich half ihm beim Versuch, sich mit einer Käseverkäuferin zu verständigen. Wir waren uns sofort sympathisch und als wir feststellten, dass wir im selben Hotel auf dem selben Stockwerk wohnten, beschlossen wir, uns noch am selben Abend in der Bar zu treffen.
Tatsächlich trafen wir uns denn auch an selbigem Abend in der Bar. Wir hatten beide unsere Freundinnen mitgebracht (sowohl der Frühling als auch ich haben uns übrigens in der Zwischenzeit von ihnen getrennt). Es wurde eine äußerst lustige Runde, die für alle Beteiligten in einen starken Kater am nächsten Morgen mündete. Den Rest des Urlaubs unternahmen der Frühling, unsere Freundinnen und ich noch häufiger gemeinsame Ausflüge, darunter eine Radtour.
Trotz seines sprunghaften Charakters und seines übertriebenen Glaubens an die Romantik sind der Frühling und ich sehr gute Freunde geworden. Wir haben uns auch nach dem Urlaub noch häufiger getroffen und planen schon einen gemeinsamen Sommerurlaub für dieses Jahr.
Tatsächlich trafen wir uns denn auch an selbigem Abend in der Bar. Wir hatten beide unsere Freundinnen mitgebracht (sowohl der Frühling als auch ich haben uns übrigens in der Zwischenzeit von ihnen getrennt). Es wurde eine äußerst lustige Runde, die für alle Beteiligten in einen starken Kater am nächsten Morgen mündete. Den Rest des Urlaubs unternahmen der Frühling, unsere Freundinnen und ich noch häufiger gemeinsame Ausflüge, darunter eine Radtour.
Trotz seines sprunghaften Charakters und seines übertriebenen Glaubens an die Romantik sind der Frühling und ich sehr gute Freunde geworden. Wir haben uns auch nach dem Urlaub noch häufiger getroffen und planen schon einen gemeinsamen Sommerurlaub für dieses Jahr.
Sonntag, 14. März 2004
Fünf Maronen
Das Lied hieß „This Love“. Als ich es zum ersten Mal hörte, war mein Herz sogleich verloren. Dieser sanfte instrumentale Beginn, dieser Groove, diese Stimme, dieser Refrain: mit einem Mal war ich in einer Welt voller roter herzförmiger Seifenblasen, die rundherum um mich aufstiegen. Ohne Zweifel, ich war endlich wieder einmal bereit, mich zu verlieben.
Schon am nächsten Vormittag schien es soweit zu sein. Ich hatte gerade den Einführungsvortrag zu unserem Seminar gehört und stand mit einigen Kollegen um das Buffet. Natürlich ging mir die Melodie von „This Love“ nicht aus dem Kopf – ich summte leise vor mich hin und wippte ein wenig mit dem Fuß.
Plötzlich trat mich jemand in den Hintern. Es war ein freundschaftlicher Tritt. Ein Entschuldigung-Aber-Es-Bot-Sich-Gerade-An-Weil-Du-Mir-Den-Rücken-Zugewand-Hattest-Tritt. Eigentlich treten mich so nur Leute in den Hintern, die mich besser kennen. Ich drehte mich um, und brauchte mindestens fünf Sekunden, um die Treterin zu erkennen.
Es war Petra, eine Freundin einer Freundin. Sie begrüßte mich freundlich und wir wechselten ein paar Worte, bevor sie zu einer Kollegin weiterging. Meine Begegnungen mit Petra waren immer sehr merkwürdig gewesen: Während sie sich genau an mich zu erinnern schien, wusste ich nur mit 50 prozentiger Wahrscheinlichkeit ihren Namen zu nennen. Ich hatte sie etwa zwei Jahre zuvor auf einer Party kennen gelernt. Vor drei Monaten hatte ich sie auf einer anderen Party wiedergesehen. Obwohl sie mich damals überschwänglich begrüßte und die ganze Zeit mit mir redete, konnte ich einfach nicht bestimmen, woher sie mich denn so gut kannte. Schon damals hatte sie mich so behandelt, als träfen wir uns täglich und ich fühlte mich mit dem Tritt in den Hintern in fataler Weise an damals erinnert.
„This Love“? Nein. Wirklich nicht.
Ich sollte erst einen Tag später die Frau meines Lebens kennen lernen.
Schon am nächsten Vormittag schien es soweit zu sein. Ich hatte gerade den Einführungsvortrag zu unserem Seminar gehört und stand mit einigen Kollegen um das Buffet. Natürlich ging mir die Melodie von „This Love“ nicht aus dem Kopf – ich summte leise vor mich hin und wippte ein wenig mit dem Fuß.
Plötzlich trat mich jemand in den Hintern. Es war ein freundschaftlicher Tritt. Ein Entschuldigung-Aber-Es-Bot-Sich-Gerade-An-Weil-Du-Mir-Den-Rücken-Zugewand-Hattest-Tritt. Eigentlich treten mich so nur Leute in den Hintern, die mich besser kennen. Ich drehte mich um, und brauchte mindestens fünf Sekunden, um die Treterin zu erkennen.
Es war Petra, eine Freundin einer Freundin. Sie begrüßte mich freundlich und wir wechselten ein paar Worte, bevor sie zu einer Kollegin weiterging. Meine Begegnungen mit Petra waren immer sehr merkwürdig gewesen: Während sie sich genau an mich zu erinnern schien, wusste ich nur mit 50 prozentiger Wahrscheinlichkeit ihren Namen zu nennen. Ich hatte sie etwa zwei Jahre zuvor auf einer Party kennen gelernt. Vor drei Monaten hatte ich sie auf einer anderen Party wiedergesehen. Obwohl sie mich damals überschwänglich begrüßte und die ganze Zeit mit mir redete, konnte ich einfach nicht bestimmen, woher sie mich denn so gut kannte. Schon damals hatte sie mich so behandelt, als träfen wir uns täglich und ich fühlte mich mit dem Tritt in den Hintern in fataler Weise an damals erinnert.
„This Love“? Nein. Wirklich nicht.
Ich sollte erst einen Tag später die Frau meines Lebens kennen lernen.
Donnerstag, 11. März 2004
Bäckchen
Ich saß mit einem Starbucks White Chocolate Mokka mit viel Sahne in der rechten und der Büchereiausgabe von Nick Hornbys „High Fidelity“ in der linken Hand im Bus und fuhr zur Schule. Am Bahnhof stiegen zwei Männer ein. Einer setzte sich neben mich, der andere blieb im Zwischengang stehen. Als der Bus weiterfuhr, begann der neben mir sitzende Mann ein Gespräch mit mir. Er trug eine Mütze, hatte einen Schnauzbart und, soweit ich dies beurteilen konnte, längere Haare. Sein Atem stank schrecklich nach Zigaretten, betrunken war er aber nicht. „Mein Junge, du hast da was Rotes.“ Ich merkte sogleich, dass er meine Backen meinte, die, vermutlich genetisch bedingt, sich schon immer durch eine außergewöhnliche Röte auszeichneten. „Das ist normal, meine Backen sind immer rot.“ Der Mann schaute zu seinem Begleiter, einem bierbäuchigen Lederjackenträger mit Ring in der Nase. „Kommt wahrscheinlich von draußen, wo es noch so kalt ist.“ Der Bierbauch nickte: „Könnte aber auch eine Durchblutungsstörung sein. Junge, du solltest mal zum Arzt gehen.“ Mit einem freundlichen Lächeln verneinte ich diesen Vorschlag: „Das war schon immer so, da muss ich nicht zum Arzt.“ Schnauzbart lächelte freundlich zurück. „Steht dir aber gut, steht dir wirklich gut. Kein Bartwuchs aber dafür rote Backen! Haha!“ Bierbauch stimmte sofort in das schallende Gelächter des Schnauzbartes mit ein. Ich lachte auch mit. „Entschuldigung, Junge. War nicht böse gemeint. Ich bin halt ein Zyniker, ein Sarkast. Ein Ironiker.“ Schnauzbart hätte sich aber gar nicht entschuldigen brauchen, schließlich verstand ich ja den Spaß.
Eine Haltestelle weiter verließ ich die beiden. Schnauzbart war gerade dabei, einer Kindergärtnerin seine Meinung zur staatlich viel zu gering finanzierten Kinderbetreuung kundzutun.
Eine Haltestelle weiter verließ ich die beiden. Schnauzbart war gerade dabei, einer Kindergärtnerin seine Meinung zur staatlich viel zu gering finanzierten Kinderbetreuung kundzutun.
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