Mit der Wand
Helmuth war eigentlich ein recht cleverer Bursche. Er hatte eine gute Allgemeinbildung und e hatte Ahnung vom Leben. Doch nicht nur das: Helmuth verstand auch noch die Frauen (eine Fähigkeit um die ich ihn heute noch beneide).

Letztlich jedoch konnte Helmuth mit all seiner Cleverness nichts anfangen. Er litt unter einer Angewohnheit, die ihn in fremden Augen nicht nur bescheuert sondern geradezu verrückt erscheinen ließ: Helmuth lief gegen Wände. Er lief gegen weiße Wände, gegen blaue Wände, gegen graue Wände, gegen Außenmauern von Gebäuden, zu allem Überfluss sogar gegen Türen und besonders bevorzugt gegen Glasscheiben (selbst wenn diese mit schwarzen Vogelschatten beklebt waren). Dabei war es keineswegs so, dass Helmuth gerne gegen Wände lief oder einfach dumm war (auf seine Cleverness habe ich schon hingewiesen). Es geschah einfach unbewusst, ohne jede Absicht und das war es auch, was Helmuth an seiner Angewohnheit am meisten quälte.

Natürlich hatte er schon alles versucht, um nicht mehr gegen die Wand zu laufen. Schließlich tat ihm das weh. Zuerst war Helmuth zu einem Psychologen gegangen. Dieser hatte sein Leiden natürlich auf Kindheitstraumata zurückgeführt und ging vom Gegen-Die-Wand-Laufen als Selbstbestrafung aus. Helmuth merkte jedoch bald, dass der Psychologe im Unrecht sein musste, schließlich war er ja abgesehen von seiner Affinität zu Wänden psychisch normal und gesund. Helmuths zweiter Versuch war schon spiritueller: er versuchte fernöstliche Kampfsportarten zu erlernen, um die „absolute Aufmerksamkeit“ zu erlangen. Doch als ihm sein thailändischer Meister erklärte, Helmuth müsse für die „absolute Aufmerksamkeit“ eins mit seiner Umgebung werden und dabei den folgenschweren Satz „Du bist die Wand und die Wand ist du.“ fallen ließ, ereilte Helmuth ein solcher Selbsthass, dass er sofort zum Psychologen zurückgekehrt wäre, wenn nicht eine Wand im Weg gewesen wäre.


(Die Pointe am Ende war zugegebenermaßen ein bisschen billig. Vielleicht entschuldige ich mich dafür.)
Freitag, 30. April 2004, 00:35, von drbierkrug | |comment | Siehe auch: Geschichten