In der Hölle
Den merkwürdigsten Tagesausflug, den mein Kumpel P. und ich vielleicht jemals unternommen haben, war der in die Hölle.

„Hallo, ich bin der Tino und für die nächsten zwei Stunden ihr Reiseführer.“, begrüßte uns Tino, unser Reiseführer, als wir nach einer ziemlich strapaziösen Anreise (so eine gemütliche Fähre wie bei den Griechen gab es leider nicht) endlich im Vorhof der Hölle angekommen waren. Unsere Reisegruppe war ein buntgemischter Haufen von Rucksacktouristen, Eltern mit Kindern und Rentnern. Von letzteren fiel mir sogleich eine Dame im beigen Kleid mit Hut auf, die gemeinsam mit ihren zwei gealterten Freundinnen ständig nervös in der Gegend umherblickte und „Wenn der Hans hier nicht irgendwo ist...“ murmelte. Tino sagte: „So, dann wollen wir uns mal auf den Weg machen.“, und hielt – wenig originell – einen Dreizack als Erkennungszeichen in die Höhe: „Folgen sie mir einfach.“

Wir dackelten also Tino hinterher und hier ist nun wohl eine kleine Beschreibung der Umgebung gefordert: Die Hölle sieht nämlich keineswegs so aus, wie man sie aus den Prospekten des Fremdenverkehrsamtes kennt – feurig, rot glühend, höhlenartig und all das. Das ist – wie nur die wenigsten wissen – bloß ein kleiner Teil. Der weitaus größere besteht aus einem stillgelegten Industriegebiet mit angrenzendem stillgelegtem Güterbahnhof. Über dieses führte uns also Tino, immer wieder an kleinen Sehenswürdigkeiten wie Folterinstrumenten oder ähnlichem anhaltend. Diese waren nicht von besonderem Interesse und selbst ein japanischer Mittourist fotografierte sie bloß pflichtschuldig. Viel interessanter waren natürlich die „Insassen“ der „Anstalt“, wie Tino es ausdrückte. Da waren zum Beispiel: Mao, heftig in einen Disput mit Kim-Il-Sung über die richtige Zubereitung von Nudelsuppe vertieft; Walt Disney, sein viertes Gnadengesuch verfassend; Hitler und Stalin, eine Runde Polen-Teilen spielend (als wir die beiden verließen, zischte Hitler unserem Reiseleiter Tino übrigens „Und so ätwas nännt säch Föhrer!“ hinterher, kein Witz!);

Die Dame in dem beigen Kleid wurde mit der Zeit immer ungeduldiger und fing an, Tino zu bedrängen. Wo denn der Hans, ihr verstorbener Mann, möge er in der Hölle schmoren – ach halt, darum gehe es ja gerade... Wo also besagter Hans sei, sie habe ihm noch so einiges zu sagen. Tino musste sie enttäuschen, persönliche Besuche seien nicht gern gesehen, aber dafür – als Ausgleich und besonderes Schmankerl sozusagen – mache man sich nun auf den Weg zum Fürst der Finsternis, dem Teufel persönlich. „Dachte ich mir, dass der Hans es hier weit bringt.“, sagte die Dame in dem beigen Kleid, wurde dann jedoch von ihren Freundinnen ob ihres Irrtums aufgeklärt.

Die Begegnung mit dem Teufel war eine schrecklich enttäuschende. Vermutlich erwarteten wir alle einfach zu viel. Denn der Teufel war keineswegs der lustige Geselle, als den man ihn etwa aus dem Faust kennt, sondern – ich kann es nicht anders sagen – ein frustrierter Verwaltungsbeamter. Vom jahrehundertelangen Menschenquälen wohl müde und vom häufigen Empfang von Besuchern schon längst gelangweilt, gab er sich uns gegenüber schon gar keine Mühe mehr, irgendwie charmant oder furchteinflößend zu wirken. Routiniert beantwortete er einige Fragen, wobei er nicht aufhörte, seine abgeschriebenen Bleistifte zu spitzen. Ehrlich gesagt waren wir alle froh, als wir endlich aus seinem Büro wieder herauskamen.

Damit war unsere Führung zu Ende. Tino verabschiedete sich am Ausgang, wir applaudierten brav und begaben uns gerade auf den Heimweg , als sich folgendes zutrug: Aus dem nahegelegen Fegefeuer schritt ein älterer Herr in einem beigen Pullover, unter dem der Kragen eines karierten Hemds hervorschaute. „Hans!“, schrie die Dame in dem beigen Kleid und rannte auf die bei dem Ausruf entsetzt in sich zusammensinkende Gestalt zu: Was er denn hier mache, warum er nicht in der Hölle sei und vieles mehr – manches davon schwer beleidigend – brüllte sie ihrem Ex-Mann ins Ohr, der, erst nach geraumer Zeit zu Wort kommend, sich schließlich erklärte: Er sei nicht in die Hölle gekommen, nur ins Fegefeuer, das er jetzt aber auch hinter sich habe, und überhaupt freue er sich schon auf seine baldige Himmelfahrt. „Du? In den Himmel?“, konnte es die Dame in dem beigen Kleid nicht glauben, „Nach alle was Du mir angetan hast?“ Ihr Mann, der wohl jahrzehntelang unter ihrer Fuchtel gestanden hatte, ließ sich diese Worte dann doch nicht gefallen: „Wer hat denn hier wen umgebracht?!“, schrie er sie an und begann sodann, sämtliche sonstigen Grausamkeiten aufzuzählen, die er von ihr zu erdulden gehabt hatte.

Mein Kumpel P. und ich beschlossen, dass wir jetzt besser zurückfahren und die Beiden alleine lassen sollten. Sie hatten sicher vieles zu besprechen.
Montag, 14. Mai 2007, 00:26, von drbierkrug | |comment | Siehe auch: Geschichten