Der Herbst ist da
Eine Kindheitserinnerung, die sich mir unerklärlicherweise bis heute erhalten hat, ist folgende: Es waren Pfingstferien, ich war vielleicht neun, vielleicht elf Jahre alt, als ich mit meinen Eltern und meinem Bruder in den Urlaub nach Italien fuhr. Wir durchquerten die Schweiz und hörten dabei - vielleicht, um meinen Bruder und mich ruhig zu stellen - einen schweizerischen Radiosender. Ich war schwer fasziniert von all den knarzenden und raschelnden Geräuschen, die die schweizerischen Stimmen beim Sprechen verursachten, und lauschte gebannt. Da lief ein Bericht über einen "Lachkursus" ("Lachgchurchsus") in einer schweizerischen Stadt - mag es Bern, mag es Zürich gewesen sein? -, der von einem indischen Guru ("Churu") veranstaltet wurde. Das besondere daran war, dass dieser Guru die "Kunst des grundlosen Lachens" weitergeben wollte. Und so hörte man im Hintergrund, während die Sprecherin oder der Guru über die Ansteckung mit Lachen, das Gruppenerlebnis des Gelächters und die Gesundheitsförderung durch Lachen dozierten, immerzu künstliches, hochkomisches Gelächter.

Damals verstand ich nicht, warum man grundlos lachen sollte. Als Kind findet man ja noch alles lustig und kommt aus dem Lachen, abgesehen von kurzen Raufpausen - gar nicht mehr heraus. Das ändert sich irgendwann, vermutlich weil man mit dem Alter mehr nachdenkt und denken bekanntlich traurig macht. Dank des Denkens verstehe ich heute immerhin den Wert des grundlosen Lachens: Denn sobald die Welt grau und trostlos wird, alles keinen Sinn mehr hat und mich nichts von den 18 Millionen Fehlern ablenken kann, die ich in den letzten Monaten gemacht habe, erinnere ich mich ans grundlose Gelächter der Schweizer. Zu einem Schmunzeln reicht das immer. Und das ist immerhin ein Anfang.
Montag, 2. Oktober 2006, 18:03, von drbierkrug | |comment | Siehe auch: Aus dem Leben