Über die Ökonomie des Jammerns (...oder eine Ergänzung der Jungschen Typologie)
Manchmal, in meinen schwachen Momenten, frage ich mich, ob eigentlich schon immer so viel gejammert wurde, oder ob das eine Erscheinung der Neuzeit ist. Ob es früher weniger Grund zum Jammer gab als heute. Doch dann fällt mir stets wieder meine oberste Lebens(betrugs)maxime ein, dass ja alles ganz wunderbar sei und Jammer niemals angebracht, dass alles positiv und die Welt ein buntes Radiesschen ist. Und um mir diesen Glauben nicht selbst zu erschüttern, sinniere ich über die verschieden Jammertypen, die mir in meinem kurzen Leben bereits viel zu zahlreich begegnet sind.

Da ist zuerst der extrovertierte Jammerer. Er zeichnet sich durch seinen hohen Grad an Emotionalität beim Jammern aus. Wenn ihn ein Thema betrübt, so wird er laut, zu Weilen sogar aggressiv, um seine eigene – Achtung, kein Wortspiel – Jämmerlichkeit zu überdecken. Bevorzugtes Thema des extrovertierten Jammerers sind Politik und (damit stets verbunden) Gesellschaft. („Die machen alles falsch. Seit Jahren sind wir dabei, ‚den Karren’ gegen die Wand zu fahren. Die Deutschen sind ein furchtbares Volk.“)

Wenn es einen extrovertierten Jammertypus gibt, dann gibt es natürlich auch einen introvertierten Jammertypus. Dieser ist jedoch landläufig eher als „Spaßbremse“ oder „Spielverderber“ bekannt und zeichnet sich durch seine Fähigkeit aus, die Stimmung in einer Gruppe unbewußt, aber gezielt nach unten zu ziehen. Während alle anderen die Gesellschaft genießen und ihren Spaß haben, mosern die introvertierten Jammerer wegen jeder Kleinigkeit, die ihnen gerade auffällt. („Warum muss mich ausgerechnet jetzt die Sonne blenden?“)

Der Zweck des Jammerns ist bei beiden Typen der selbe: Gewinnung von Aufmerksamkeit zur Schaffung eines allgemeinen Gefühls von Wichtigkeit und gleichzeitig Anklage und Verantwortlichmachung anderer für das eigene Leid. Während jedoch beim extrovertierten Jammertypus die Gesellschaft (zu der er sich selbst nicht zählen will) an allem Schuld ist, macht der introvertierte Jammerer eine höhere Macht (Gott, Schicksal) verantwortlich.

Beim Jammern tritt also eine Verschiebung der Anklage auf. Statt die eigene Person anzuklagen, wird über andere Themen gejammert, die sich aus aktuellen Gründen anbieten. Auch Jammerer sind also als Selbstbetrüger zu bezeichnen.
Samstag, 17. Januar 2004, 09:16, von drbierkrug | |comment | Siehe auch: Psychologie