Zum Weihnachtsfest
Geiz ist ungeil, Geben ist im Trend – so heißt es allerorten. Okay, dem kann ich mich anschließen. Nur was soll man bloß geben? Denn mit jedem weiteren Weihnachtsfest stellt sich einmal mehr die leidige Frage nach den richtigen Geschenken. Besonders für die lieben Eltern das Richtige zu finden, ist eine Herausforderung, die mit der Lösung des gordischen Knotens vergleichbar ist. Dieses Jahr versuchte ich der qualvollen Geschenksuche in überfüllten Geschäften mit einem einfachen Trick, quasi einem alexandrinischen Schwertstreich, auszuweichen: Ich fragte nach eventuellen Wünschen. Woher hätte ich wissen sollen, dass dadurch alles nur noch schlimmer werden würde, dass das Schwert, das den Knoten hätte lösen sollen, sich in selbigem verfing und ihn nur noch unlösbarer machte. Denn meine Eltern zeigten sich wenig kooperativ: So sagte mein Vater, dass er sich „mehr Zeit“ wünsche. Und meine Mutter meinte, sie brauche „Nichts“.

Das waren natürlich nicht gerade die Aussagen, die ich mir erhofft hatte (das wären „eine Flasche Wein“ und „ein Glas Marmelade“ gewesen). Aber ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen. Meine Eltern wollten also Zeit und Nichts. Irgendwo mussten doch Zeit und Nichts aufzutreiben sein. Also googelte ich nach den Begriffen. Und stieß bei „Zeit“ nicht nur auf eine bekannte Tageszeitung, sondern auch auf folgende Erklärung: „Unter der Zeit versteht man das, was dem Phänomen der Veränderung zugrunde liegt und als Übergang von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft wahrgenommen wird.“ Interessant, dachte ich mir, mein Vater will also im Grunde langsamere Veränderungen und mehr Gegenwart. Zumindest vor dem Hintergrund seiner immerwährenden Plädoyers für schnellstmögliche politische Reformen und grundsätzliche Richtungswechsel überraschte mich das etwas. Weiter brachte es mich aber auch nicht.

Noch weniger hilfreich waren die Informationen zum Nichts. Das Internet meinte dazu: „Das Nichts kann als Abwesenheit und Fehlen von etwas betrachtet werden und gilt als das Gegenteil von ‚Alles’.“ Leider klang das alles andere als verschenkbar. Und bei ebay gab es zwar über 1000 Bücher mit „Nichts“ im Titel, aber kein einziges davon existierte nicht wirklich. A propos Bücher: Natürlich hatten sich auch schon anerkannt schlaue Menschen Gedanken zum Nichts gemacht. Zum Beispiel Johann Wolfgang von Goethe: „Das Ewige regt sich fort in allem: Denn alles muss in Nichts zerfallen, wenn es im Sein beharren will.“ Sehr schön, aber für Weihnachten wahrscheinlich zu metaphysisch. Übrigens: wenn Goethe heute leben würde, bekäme er sicher jedes Jahr von irgend einer Buchhandlung eine Packung „Werther’s Original“ geschenkt und müsste dann sagen, dass er das unheimlich einfallsreich finde. Aber das nur am Rande.

Nach meinen eher erfolglosen Internetrecherchen unternahm ich einige Tage nichts. Langsam rückte Weihnachten näher und hätte mir jemand jetzt einfach so etwas Zeit angeboten, hätte ich wohl selbst einen Teil davon verbraucht, nur um auch noch dieses verfluchte Nichts zu finden. Doch dann traf mich gerade noch rechtzeitig die entscheidende Inspiration. Es war während einer dieser faszinierenden Joachim-Bublath-Sendungen im ZDF (in der ständig kleine Metallkügelchen große Planeten repräsentierend auf einem Gummituch umeinander herum kreisen, was irgendwie die Gravitation erklären soll). Diesmal wurde ein berühmtes Paradoxon der Relativitätstheorie erklärt, nämlich das von dem Raumfahrer, der fünf Jahre fast mit Lichtgeschwindigkeit durchs All reist, und bei seiner Rückkehr auf die Erde feststellt, dass ein ganzes Jahrhundert vergangen ist. Damit hatte ich das perfekte Geschenk für meine Eltern, die berühmten zwei Fliegen mit einer Klappe: Eine Weltraumreise nahe der Lichtgeschwindigkeit. Denn so könnte mein Vater viel mehr Zeit erleben als alle anderen Menschen auf der Erde (natürlich nur relativ zu diesen betrachtet, aber das muss ich ihm ja nicht verraten). Und meine Mutter bekäme ihren Wunsch auch erfüllt. Wo gibt es schließlich soviel Nichts wie im Weltraum?

Leider musste ich feststellen, dass das Angebot im Bereich Weltraumreisen noch recht dünn ist. In ein paar Jahren sollen erste Ausflugsflüge in die Umlaufbahn der Erde stattfinden, Mondtourismus wird es vielleicht erst in 50 Jahren geben. Und ich will meine Eltern ja auch nicht bloß zum Mond schießen, sie sollen ja richtig was vom All zu sehen bekommen. Deshalb kriegen sie heute Abend erst einmal nur einen Gutschein. Es wird ja noch einige Zeit dauern, bis sie tatsächlich starten können. Ich hoffe das macht Nichts.


Mehr zum Phänomen der Zeitdehnung: http://abenteuer-universum.vol4u.de/zeit.html#de
Eine freundliche Erwähnung für die Zitate: http://de.wikipedia.org/wiki/Zeit; http://de.wikipedia.org/wiki/Nichts


Und damit wünsche ich allen meinen Lesern:

Frohe Weihnachten

Samstag, 24. Dezember 2005, 17:16, von drbierkrug | |comment | Siehe auch: Aus dem Leben