Carter The Great
Es passiert mir selten, dass ich ein Buch, dass ich von der örtlichen Bücherei ausgeliehen habe, uneingeschränkt empfehlen kann. Normalerweise sind die zufälligen Griffe ins Bücherregal nicht weiter erwähnenswert, meist erwische ich ein recht unterhaltsames Buch, auf dass ich aber sicher auch hätte verzichten können. Mit „Carter beats the devil“ verhält es sich jedoch ganz anders. Der Debütroman (im Deutschen: „Carter, Das Spiel mit dem Teufel“) des amerikanischen Schriftstellers Glen David Gold war nämlich ein wahrer Glücksgriff, ein Wahnsinnsbuch, erfüllt von einer irremachenden Spannung und ausgestattet mit einem ungeheuerlichen erzählerischen Sog, der den Leser von der ersten Seite an gefangen nimmt.

Gold wirft den Leser gleich mit den ersten Sätzen ins kalte Wasser: Am 2. August 1923 stirbt der amerikanische Präsident Warren G. Harding unter mysteriösen Umständen in San Francisco. Zwei Personen werden daraufhin von der Presse gejagt, zum Einen Hardings Frau, zum Anderen der berühmte Magier Charles Carter, genannt Carter The Great. Die Show des Letzteren hatte Harding am Abend vor seinem Tod besucht und war dabei auch als Freiwilliger im letzten Teil von Carters Programm (das den Namen „Carter beats the devil“ trägt) aufgetreten. Wir erfahren, dass Harding dabei als Teil einer Illusion vor den Augen des Publikums in Stücke gerissen worden war, um danach unversehrt wieder auf der Bühne zu erscheinen und dass Harding gegenüber Carter ein furchtbares Geheimnis erwähnt hatte. Es sind diese wenigen Versatzstücke, zu denen sich noch ein Verhör Carters durch zwei Geheimdienstmitarbeiter gesellt, mit denen Glen David Gold am Anfang das Interesse des Lesers weckt. Man ist gerade so weit, der Story unbedingt bis zum Ende folgen zu wollen, da unterbricht Gold den Erzählfluss und beginnt ganz am Anfang, mit der Kindheit seines Helden Carter Ende des 19. Jahrhunderts. Fast ist man schon enttäuscht, dass das Buch vom spannenden Thriller zur belanglosen Lebensgeschichte abrutscht, da entpuppen sich die Erlebnisse des jungen Carter als nicht minder interessant. Wir erfahren, wie Carter zur Magie, angefangen bei kleinen Karten- und Münztricks, fand, wie er immer neue Illusionen erlernte, sich dabei aber auch immer mehr von seiner Familie, vor allem von seinem geschäftsmännischen Vater, der für den Hokuspokus seines Sohnes nichts übrig hatte, entfernte. Dieser sieht es dann auch nicht gerne, als Carter, statt in Yale zu studieren, mit mäßigem Erfolg als Teil einer Vaudevilleshow durchs Land tourt. Überhaupt sind die Kapitel über Carters erste Auftritte die besten des Buchs. Wir leiden mit Carter mit, wenn er im Showgeschäft nicht recht Fuß fassen kann, auch weil ihm die Unterstützung seiner Eltern fehlt, wenn er sich gegen den hinterhältigen Magier Mysterioso, der als Headliner der Show nach Carter auftritt, zur Wehr setzen muss und wenn er sich – natürlich unglücklich – verliebt.

Genau in dem Moment, dem großen Finale dieses ersten Teils, in dem sich dann alles zum Guten zu wenden scheint, unterbricht Glen David Gold abermals seine Erzählungen und wir springen zurück ins Jahr 1923, wo sich auf einmal eine Vielzahl von Handlungssträngen aufspannt, die alle um Carter und den Tod Präsident Hardings kreisen. So schauen wir dem Geheimdienstagenten Jack Griffin über die Schulter, wundern uns über die Rolle, die der Erfinder Philo Farnsworth mit seiner verrückte Idee „Television“ in der ganzen Geschichte spielt und staunen ganz einfach über die magische Leichtigkeit, mit der Gold hier auf einmal den hochkomplexen Plot eines Thrillers entfaltet. Wohlgemerkt ohne dabei seinen Helden Carter und dessen Empfindlichkeiten aus den Augen zu verlieren.

Der an sich schon fantastischen Geschichte kommt dabei auch noch der Reiz der historischen Wahrheit zu Gute. Charles Carter war tatsächlich einer der größten Magier seiner Zeit, den man durchaus in einem Atemzug mit solchen Größen wie Houdini oder Kellar nannte. Warren G. Harding starb tatsächlich am 2. August 1923 und die Erfindung des Fernsehers durch Philo Farnsworth machte ebenfalls genau zu dieser Zeit Furore. Glen David Gold gelingt es meisterhaft, diese verschiedenen historischen Tatsachen zu verknüpfen und daraus eine wunderbare Geschichte zu schmieden, die auch, aber nicht vor allem von der magischen Frage lebt, was denn nun Fakt und was Fiktion ist. Und am Ende, wenn sich alle Zusammenhänge aufgeklärt haben, ist man sicher, einem zauberhaften Erzähler aufgesessen zu sein.
Mittwoch, 5. Oktober 2005, 15:59, von drbierkrug | |comment | Siehe auch: Rezension