Und sie haben ein Idol
Im Vorprogramm der CDU-Wahlkampfveranstaltung am Dienstag in Wiesbaden spielte eine Band New-Orleans-Jazz. Ich will mit dieser Eingangsbemerkung keineswegs behaupten, dass dies in den heutigen Tagen politisch inkorrekt gewesen wäre, es war nur sehr laut und machte Gespräche unter den gespannt wartenden Parteifreunden nahezu unmöglich. Gespannte Erwartungshaltung war übrigens allemal geboten, hatte sich doch der Größte angekündigt, den die CDU zu bieten hat.

Der Jazz hatte dann auch zu verstummen, als kurz nach sieben Uhr der Ex-Vorsitzende und Ex-Ehrenvorsitzende der Christdemokraten, der frühe Rheinland-Pfälzische Ministerpräsident und „Kanzler der Deutschen Einheit“ auf dem Luisenplatz unserer schmucken Landeshauptstadt eintraf, um einige Worte an die „lieben Freunde“ zu richten. Zu pompösen Fanfarenklängen marschierte Helmut Kohl, der übrigens tatsächlich so groß und so dick ist, wie er im Fernsehen wirkt, händeschüttelnd mitsamt Anhang auf das komplementär-orange-dunkelblau-gefärbte und mit Angela Merkel plakatierte Podium der CDU Hessen. Dabei wäre auch mir fast die Ehre zuteil geworden, die Hand des Altkanzlers zu schütteln. Doch kurz bevor er an meinem Platz vorbeikam (welcher übrigens dank der Parteimitgliedschaft meines Vaters innerhalb des abgesperrten Bereichs mitten unter den CDU-Anhängern lag und praktischerweise mit einer Bierbank ausgestattet war), schlug er einen anderen Weg ein. Bestimmt fünf Minuten dauerte es, bis „der dicke Kohl“ (so nennt ihn immer meine Oma) tatsächlich auf der Bühne seinen Platz eingenommen hatte, um sich vom Wahlvolk mit „Helmut, Helmut“-Rufen feiern zu lassen. Ganz kurz zeigte er sogar dieses süße Hände-zusammenlegen-und-über-dem-Kopf-schütteln, das er als Geste des Triumphes so unnachahmlich kann wie kein anderer. Insgesamt rund zehn verdiente Persönlichkeiten der CDU Hessen und Wiesbaden stellten sich neben ihr Idol auf die Bühne, die meisten kannte ich aber nicht.

Zuerst sprach der Spitzenkandidat für Hessen, Dr. Franz Josef Jung. Von seiner kurzen Rede blieb mir nichts in Erinnerung. Ihm folgte Kristina Köhler, die CDU-Direktkandidatin für Wiesbaden. Von ihrer Ansprache weiß ich immerhin noch, dass sie Kohl beständig ansah und ihm erzählte, dass sie nur wegen ihm in die Junge Union eingetreten sei, dass Kohl selbst aber nur stur in die Menschenmenge vor ihm schaute. Wegen dem Geplänkel der lokalen Kandidaten war natürlich niemand gekommen, entsprechend kurz hielten sich die beiden auch.

Und dann war SEINE Stunde gekommen. Kohl trat ans Rednerpult und begrüßte die Parteifreunde, aber auch die Vertreter des politischen Gegners, welche zwar nicht so zahlreich erschienen waren, wie zu Kohls großen Zeiten, jedoch keineswegs an Kreativität eingebüßt hatten: Ihre Plakate, auf denen Kohl in einer buddhistischen Mönchskutte abgebildet war, luden durchaus zum Lachen ein. Schließlich stand unter dem Bild: „Kohl droht mit Wiedergeburt.“

In den nächsten fünfzig Minuten redete Kohl viel über die Notwendigkeit eines Richtungswechsels in der Politik (begleitet von pflichtschuldigem emporrecken der „Wechsel wählen!“-Schilder durch das Parteivolk), von der Deutschen Einheit, von Europa, von der Nachkriegszeit, vom „linken Pöbel“ und den Trümmerfrauen nach dem Zweiten Weltkrieg. Nur einmal erwähnte er Angela Merkel (begleitet von pflichtschuldigem emporrecken der „Angie“-Schilder durch das Parteivolk), dafür aber umso öfter die „großen Lügen der Linken“. Trotz der vielen Aufrufe zum „Anpacken“ und „Schaffen“ geriet der Abend zum größten Teil zu einer Nostalgieveranstaltung. Die Parteiseele freute sich einfach noch einmal, ihren alten Meister zu sehen.

Vor mir saß ein älterer Mann, der es für nötig hielt, jedes Mal zu nicken, wenn er Kohl zustimmte. Komischerweise war dies eigentlich nach jedem Satz der Fall. Kohl sagte einfach nichts, dem man ernsthaft hätte widersprechen können. Und so war seine ganze Rede eigentlich eine Feierstunde für die „alte CDU“.

Bevor mir hier jemand widersprechen will, weil er meint, es gäbe keine „neue CDU“, will ich erläutern, was ich damit meine. Ich habe da nämlich eine Theorie. Es ist meiner Meinung nach so, dass der größte Teil der CDU-Basis (sicherlich auch der alte Mann, der vor mir saß) der SPD näher steht als dem von der Parteiführung gewünschten Koalitionspartner FDP. Die CDU-Führung, vor allem Angela Merkel selbst, ist sehr neoliberal ausgerichtet und plant im Falle eines Wahlsieges das, was heute in dem schwammigen Wort der Reform zusammengefasst wird. Viele alte Parteimitglieder (z.B. Rentner, die in diesem Fall mit Kürzungen rechnen müssen) können damit aber nichts anfangen. Das weiß auch Kohl, der keinesfalls jemanden verprellen wollte und sich entsprechend allgemeingültig ausdrückte. Denn wer kann schon etwas dagegen haben, „die Dinge anzupacken“?

Die meiste Zeit redete Kohl ohnehin nicht über die Tagespolitik, sondern über die Deutsche Einheit. Hier fühlte er sich sichtlich wohl und hier hatte er sein Publikum auch ganz bei sich. Seine Hauptbotschaften: Die Linken wollten die Einheit nicht und die blühenden Landschaften haben etwas länger gebraucht. Aber es gebe sie, man müsse nur einmal nach Thüringen oder Sachsen fahren, meinte Kohl.

Dem Altbundeskanzler merkt man sein Alter mittlerweile an. Immer wieder verhedderte er sich in seiner Rhetorik oder sprach von der „Wahl in acht Tagen“. Am Schluss meinte er dann, wir sollten alle die Ärmel „hochklettern“, verbesserte sich dann immerhin noch zu „hochklappen“. Immerhin kamen seine kleinen Witzchen über den politischen Gegner noch gut an.

Als Kohl fertig war, sprang ein Vertreter der CDU Wiesbaden ans Mikrofon. Er bellte Dankesworte zu seinem ehemaligen Vorsitzenden und ins Publikum, erinnerte noch einmal daran, wen wir wählen sollen und bat zum Singen der Nationalhymne. Der Typ ging mir fürchterlich auf die Nerven, vor allem, weil er dann auch noch ins eingeschaltete Mikrofon sang. Zum Glück schaltete es ihm jemand ab. Am Ende blühte also das Deutsche Vaterland, genauso wie seine östlichen Landschaften. Die Kundgebung war geschlossen und ich ging mit gemischten Gefühlen nach Hause.
Donnerstag, 8. September 2005, 20:47, von drbierkrug | |comment | Siehe auch: Aus dem Leben

 
Wie bei...
...mamassiv vermutet, handelte es sich bei den humorvollen Kohlplakaten um ein Titelmotiv der Titanic (Heft 3/94). Man verzeihe mir diese Unwissenheit, das war vor "meiner Zeit".

:-)

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